Einmal im Leben: Beteigeuze wird bedeckt!

20. Juli 2023 - Sven Melchert

Die Bedeckung dieses Sterns ist wohl seltener als eine Sonnenfinsternis. Weltweit bereiten sich Astronomen auf eine Beobachtung vor. Anfragen um logistische Unterstützung haben uns schon von Astronomen aus Japan erreicht. Die VdS-Fachgruppe Sternbedeckungen und die IOTA/ES (International Occultation Timing Association/European Section) überlegen schon seit geraumer Zeit, wie dieses Ereignis von Amateuren verfolgt werden kann. Dazu beschreiben Peter Slansky und Bernd Gährken in dem folgenden Beitrag sehr informativ einige Möglichkeiten.

Im Süden Italiens bereitet sich die Gruppe „Astrocampania“ (https://astrocampania.it) vor, lokalen Support zu leisten und auch unmittelbar anschließend ein erstes Treffen zur Auswertung zu organisieren. Da Beteigeuze leicht mit dem bloßen Auge zu finden ist, soll auch ein Aufruf die Bevölkerung zur Beobachtung anregen.

Die IOTA/ES wird dieses Ereignis als einen Schwerpunkt ihrer jährlichen Konferenz im September in Armagh/Nordirland herausstellen und dafür ihr 50-cm-Expeditionsfernrohr für zwei Farbbereiche ertüchtigen. Der Strahlenteiler wirkt dabei auf zwei unabhängige Video-Kameras.

Wir sind natürlich auf die „Vorarbeit“ von Amateur-Astronomen und auch von Profi-Astronomen angewiesen. Die zum Teil unbefriedigenden Vorausberechnungen – wie sie auch in dem folgenden Beitrag beschrieben werden – können bis zum Ereignis vielleicht noch präzisiert werden. Dazu die dringende Empfehlung, „last minute predictions“ über die Homepage (www.iota-es.de) abzurufen.

… und dann noch: Wir wünschen uns eine wolkenfreie Nacht mit einem grandiosen Sternenhimmel – kurzzeitig ohne Beteigeuze.

Eberhard Bredner und Konrad Guhl

 

Kleinplanet (319) Leona bedeckt Beteigeuze!

von Peter Slansky und Bernd Gährken

Seit um die Jahrtausendwende der Hipparcos-Katalog veröffentlicht wurde, sind die Positionen der Sterne ausreichend genau bekannt, so dass man mit guten Erfolgschancen Sternbedeckungen durch Asteroiden beobachten kann. Mit dem Gaia-Katalog werden nun auch die Asteroidenbahnen besser bestimmt und die Beobachtungen werden langsam zur Routine. Etwas Besonderes sind immer noch die Bedeckungen heller Sterne. Die Bedeckung eines 6-mag-Sterns gibt es für Deutschland alle paar Jahre, doch ein 1-mag-Stern ist gleich 100 Mal seltener.

Die meisten Hauptgürtel-Asteroiden haben Bahnen in der Nähe der Ekliptik. Einer der wenigen hellen Sterne in diesem Bereich ist Regulus. Denis Denissenko fand in seiner Suche nach „einzigartigen Sternbedeckungen“ gleich zwei Treffer für diesen Stern. Beide liegen schon in der Vergangenheit. Eine dritte Bedeckung fand er für Beteigeuze. Dieses seltene Ereignis wird in der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember 2023 in Südeuropa stattfinden (Abb. 1). Obwohl die Bedeckung nur wenige Sekunden dauern wird, kann sich doch eine Reise lohnen, denn es handelt sich um ein Ereignis, das wohl nur einmal in einem Menschenleben sichtbar sein wird.

Pfad der Bedeckung von Beteigeuze durch (319) Leona am 12.12.2023 [7]. (Kartendaten: © 2023 GeoBasis-DE/BKG (© 2009) Google, Inst. Geogr. Nacional, Mapa GISrael)

Was ist zu erwarten?

Was man von der Bedeckung erwarten darf, ist noch etwas unklar. Das liegt daran, dass der Kleinplanet (319) Leona bislang sehr wenig erforscht ist. Die Angaben über den mittleren Durchmesser schwanken zwischen etwa 50 und 85 km [1]. Das entspricht einem Durchmesser am Himmel von 38 bis 65 Millibogensekunden. Beteigeuze wird in der Literatur mit einem Durchmesser von 42 bis 55 Millibogensekunden angegeben. Der Durchmesser des Sterns schwankt unregelmäßig mit seiner Helligkeit. Ein weiterer Faktor ist die Änderung des Durchmessers mit dem Spektralbereich. Im Blauen ist der Stern deutlich kleiner als im Roten oder gar im Infraroten. Die tiefste Verfinsterung ist vermutlich im Ultraviolett zu beobachten. Dabei muss man jedoch sagen, dass der Stern als Roter Riese gerade dort am schwächsten strahlt.

Die Dauer der Verfinsterung ist nicht nur vom Stern, sondern auch vom Kleinplaneten abhängig. Gemessen an seiner niedrigen Ordnungszahl ist (319) Leona ungewöhnlich schlecht erforscht. In den Daten von EURASTER finden sich drei Bedeckungen, doch jedes Mal standen die Beobachter außerhalb des Pfades. Mehr Glück hatte man bei zwei Bedeckungen in Japan und Australien im Jahr 2010. Dort gab es aber jeweils nur einen erfolgreichen Beobachter. Mit nur einem Haar kann man schlecht eine Locke wickeln. So ließ sich durch beide Bedeckungen lediglich ein Mindestdurchmesser von etwa 50 km abschätzen [2].

Die englische Wikipedia-Seite kennt mehrere Arbeiten über die Bestimmung des Durchmessers, die sich zu widersprechen scheinen. Die fünf zitierten Arbeiten nennen Werte zwischen 50 und 85 km. Tatsächlich könnten aber alle diese Werte wahr sein. Während erste Messungen der Lichtkurve noch von einer regelmäßigen Kugelgestalt ausgingen [3] zeigten spätere, genauere Analysen ein sehr ungewöhnliches Verhalten [4]. Demnach gehört Leona zu den 100 am langsamsten rotierenden Asteroiden, die bislang bekannt sind. Beachtliche 430 Stunden benötigt Leona, um sich einmal um seine Achse zu drehen. Die Amplitude beträgt ca. 0,5 mag, was sehr grob als ein Achsverhältnis von 2:2:3 interpretiert werden kann. Dabei ist die Amplitude nicht konstant, sondern zeigt auffällige Schwankungen, die auf eine instabile Achslage hindeuten (Abb. 2). Derartige „Tumbler“ stehen im Interesse der aktuellen Forschung [5]. (319) Leona genauer zu untersuchen ist also auch ohne die Beteigeuze-Bedeckung interessant.

Lichtkurve von (319) Leona (VdS-Grafik nach [2])

Spannender Vorläufer

Eine weitere Leona-Stern-Bedeckung wird sich zufällig nur wenige Tage vor der Beteigeuze-Bedeckung ereignen: In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 2023 wird Leona den 12 mag hellen Stern TYC 0716-01756-1 bedecken [7, 8]. Dieser Pfad wird über Tunesien, Malta, dem Peloponnes und die Süd-Türkei verlaufen. Es ist zu hoffen, dass auch diese Bedeckung fleißig beobachtet wird: Die Lage dieses Pfades wird helfen, die Position der Beteigeuze-Bedeckung sechs Tage später sehr genau zu bestimmen. Nach den aktuellen Prognosen soll der Pfad während der Beteigeuze-Bedeckung über die attraktivsten Ferienregionen Südeuropas verlaufen. Von der Algarve über Andalusien und Sardinien reicht der Pfad über Süditalien nach Nordgriechenland bis in die Türkei.

 

Beobachtungstechnik

Beteigeuze wird an den genannten Standorten unweit des Meridians über 40 Grad hoch am mondfreien Nachthimmel stehen. Falls das Wetter passt, wird es eine einfache Beobachtung mit dem freien Auge sein. Fotometrische Lichtkurven können schon mit der Videofunktion der meisten DSLRs und Bridge-Kameras gelingen – ganz ohne Teleskop, mit einem normalen Fotoobjektiv.

Will man lediglich eine einzige Helligkeitskurve ermitteln, so ist eine Einstellung des Weißabgleichs der Kamera auf 3.600 K sinnvoll, da Beteigeuze eine solch geringe Farbtemperatur hat. Da Beteigeuze hell ist, genügt ein Fotoobjektiv. Natürlich ist eine ausreichende Lichtstärke vorteilhaft. Bei einem punktförmigen Objekt zählt aber weniger die relative Blendenzahl als vielmehr der absolute Durchmesser der Eintrittspupille. Geeignet ist z. B. ein Objektiv mit 50 mm Brennweite und einer Lichtstärke ab f/1,8. Hiermit genügt auch ein einfaches Fotostativ, denn die Verfinsterung geht ja nur über maximal 14 Sekunden.

Bei der Aufnahme kann es förderlich sein, den Stern etwas zu defokussieren. Dadurch verteilt sich das Licht auf eine größere Fläche, d. h. auf mehr Pixel der Kamera. Das ist günstig, weil so sowohl das Seeing als auch das Bildrauschen der Kamera ein Stück weit ausgemittelt werden. Außerdem kann hiermit eine Überbelichtung des Sterns verhindert werden, die aufgrund der Signalbegrenzung das Ergebnis zu Beginn und Ende der Verfinsterung verfälschen würde. Allerdings darf man die Defokussierung auch nicht zu weit treiben, da sich damit der Kontrast zum Himmelshintergrund verschlechtert.

Wie schon weiter vorne ausgeführt wurde, ist der Durchmesser von Beteigeuze sehr stark von der Wellenlänge abhängig. Es dürfte sich daher besonders lohnen, separate Lichtkurven in unterschiedlichen Farb- bzw. Spektralbereichen zu erstellen. Das könnte z. B. in den Spektralbereichen Rot, Grün und Blau des visuellen Lichts erfolgen sowie im nahen Infrarot. Zusätzlich erscheint eine Beobachtung im nahen Ultraviolett sehr interessant. Nachfolgend werden dazu verschiedene Methoden vorgestellt.

 

Beobachtungen im visuellen Licht in Rot, Grün und Blau

Bei einer handelsüblichen Digitalkamera mit einem CMOS-Sensor erfolgt die Farberkennung über eine Bayermaske, ein Mosaikfilter aus roten, grünen und blauen Filterelementen vor den Sensorpixeln. Aufgezeichnet werden jedoch keine Rot-, Grün- und Blausignale, sondern matrizierte Signale für Helligkeit und zwei Farbdifferenzen. Da jedes dieser Signale einzeln in seiner Amplitude begrenzt wird, führt eine Überbelichtung farbiger Objekte sehr schnell zu einem völligen Verlust der Farbinformation. Daher erscheint die Auswertung einer einfachen Farbaufnahme getrennt nach Rot, Grün und Blau aussichtslos.

Für RGB-Lichtkurven bietet es sich vielmehr an, die Kamera rot, grün bzw. blau zu filtern. Um dennoch nur eine einzige Kamera einsetzen zu müssen, kann mit einem preiswerten 3-fach Effektprisma gearbeitet werden. Hiermit wird der Stern drei Mal abgebildet. Zur Farbfilterung bringt man hinter dem Prisma eine Blende aus schwarzer Pappe mit drei runden Löchern an, die jeweils mit einer Filterfolie in den drei Farben Rot, Grün, Blau hinterklebt sind (Abb. 3).

Das RGB-Prisma besteht aus einem preiswerten 3-fach-Effektprisma und einer Pappblende mit dahinter geklebten Farbfolien in Rot, Grün und Blau.

 

Diese Folien müssen nicht besonders hochqualitativ sein, wenn defokussiert aufgenommen wird. Erfolgreich getestet wurde die Kombination der Folien Nr. 106 „Primary Red“, Nr. 139 „Primary Green“ und Nr. 119 „Dark Blue“ der Firma Lee. Die meisten 3-fach-Effektprismen sind für Brennweiten bis maximal 85 mm bei Vollformat berechnet. Man kann also sehr gut ein 50 mm Objektiv einsetzen. Es sollte lichtstark genug sein, weil die effektive Blende durch die Löcher der Pappblende gegeben wird. Diese dürfen nicht über den freien Durchmesser der Frontlinse hinausragen (Abb. 4). Mit einem solchen RGB-Prismenvorsatz wird der Stern drei Mal aufgenommen, in Rot, in Grün und in Blau (Abb. 5). Die drei Abbilder können separat fotometriert werden.

Das RGB-Prisma vor einem alten Canon-Objektiv FD 1:1,4 / 50 mm an einer Sony a7S. Achtung: Die effektive Eintrittspupille pro Farbkanal reduziert sich auf den Durchmesser der Pappblende. Die drei runden Löcher dürfen außen nicht über den freien Durchmesser der Frontlinse hinausragen; die Objektivblende muss voll geöffnet sein.

 

Testaufnahme von Beteigeuze mit dem RGB-Prisma an einer Sony a7S mit Canon FD 1:1,4 / 50 mm, ISO 3200, Weißabgleich 3.600 K, Belichtung 0,5 s bei f/1,4, in zehnfacher Vergrößerung. Für Filmaufnahmen mit 25 Bildern/s müsste der ISO-Wert bei sonst gleichbleibenden Einstellungen auf 40.000 hochgestellt werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beobachtungen im nahen Infrarot

Da Beteigeuze im Infraroten am ausgedehntesten ist, ist zu erwarten, dass die Verfinsterung im Infraroten einen anderen zeitlichen Verlauf nimmt und dass sie im Maximum geringer ausfällt als im visuellen Licht. Eventuell wird es hier lediglich eine ringförmige Finsternis geben. Das nahe Infrarot von 700 bis 1.100 nm ist für Kameras mit einem IR-Passfilter statt einem IR-Sperrfilter noch gut zugänglich [9]. Geeignet sind sowohl monochrome Video- oder Astrokameras als auch Fotokameras, bei denen der UV-IR-Sperrfilter entfernt wurde. Das Strahlungsmaximum eines Roten Riesen liegt in den langen Wellenlängen, so dass auch bei Einsatz eines IR-Passfilters ab 700 bis 800 nm noch genügend Strahlung vorhanden ist. Das Objektiv muss daher nicht unbedingt sehr lichtstark sein. Für eine Auswertung der Lichtkurven sollte die NIR-Kamera allerdings zeitlich möglichst genau mit der visuellen Kamera synchronisiert werden.

 

Beobachtungen im nahen Ultraviolett

Besonders reizvoll und ertragreich erscheint eine Beobachtung im (nahen) Ultraviolett, weil hier eine besonders tiefe Verfinsterung zu erwarten ist. Gleichzeitig ist eine Beobachtung im UV technisch aber auch besonders diffizil. Als Roter Riese strahlt Beteigeuze in den kurzen Wellenlängen sehr viel schwächer als in den längeren. „Entfilterte“ Fotokameras scheiden aus, monochrome Video- oder Astrokameras mit ausreichender Empfindlichkeit bei 360 bis 400 nm sind gefragt. Auch an die Optik werden besondere Anforderungen gestellt: Einerseits wird eine genügend große Eintrittspupille benötigt, andererseits scheiden gerade hoch lichtstarke Fotoobjektive aus, weil ihre stark brechenden Gläser im UV nahezu undurchlässig sind. Ein empirischer Test hat das eindeutig bestätigt. Geeignet sind dagegen kurzbrennweitige, lichtstarke Spiegeloptiken sowie katadioptrische Systeme mit wenigen Glaselementen. Aufgrund der gegenüber Fotoobjektiven tendenziell längeren Brennweite wird aber eine parallaktische Montierung nötig, was das Reisegepäck stark anwachsen lässt.

 

Fazit

Die Autoren wollen das volle, hier beschriebene Beobachtungsprogramm angehen, und auf diese Weise Videoaufnahmen in den Spektralbereichen UV-A (360 bis 400 nm), Blau (400 bis 500 nm), Grün (500 bis 600 nm), Rot (600 bis 700 nm) und Nah-Infrarot (700 bis 1.100 nm) machen. Aufgrund des noch unsicheren Verfinsterungspfades und der ebenso unsicheren Wetterverhältnisse im Dezember sind Beobachtungen durch viele Teams wünschenswert. Ein Vergleich sowie die Analyse mehrerer erfolgreicher Dokumentationen lässt schließlich neue Erkenntnisse zu dem bisher wenig erforschten Kleinplaneten erwarten.

 

 

Literatur- und Internet-Hinweise (Stand 07.06.2023):

[1]   Royal Astronomical Society of New Zealand, 2010: „Occultation of UCAC2 33688276 by 319 Leona, 2010 October 22“, https://www.occultations.org.nz/planet/2010/results/20101022_319_Leona_Rep.htm

[2]   R. Behrend, „Asteroids and comets rotation curves, CdR, Regular variable stars light curves, CdL“, http://obswww.unige.ch/~behrend/page1cou.html#000319

[3]   319 Leona: Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/319_Leona

[4]   F. Pilcher et al., 2017: “(319) Leona and 341 California – Two Very Slow Rotating Asteroids”, Minor Planet Bulletin 44.2, April-June 2017, https://articles.adsabs.harvard.edu/full/2017MPBu…44…87P

[5]   D. Denissenko: “Unique Occultations”, http://hea.iki.rssi.ru/~denis/special.html

[6]   A. Marciniak et al., 2022: “Focus on slow rotators – first results from stellar occultations campaign on long-period asteroids”, 16th Europlanet Science Congress, 18-23 September 2022, https://ui.adsabs.harvard.edu/abs/2022EPSC…16..224M/abstract

[7]   S. Preston, 2023: „Future Global Asteroid Events“, http://www.poyntsource.com/New/Future.htm

[8]   IOTA/ES: „Call for Observations“, https://call4obs.iota-es.de/

[9]   P.C. Slansky, 2021: „Die Mondfinsternis vom 21.1.2019, analysiert mithilfe einer Vierkanal-Kamera-Fotometrie im visuellen Licht und Infrarot; Teil 1“, VdS-Journal für Astronomie 75 (4/2020), S. 30-33; „Teil 2“: VdS-Journal für Astronomie 77 (2/2021), S. 93-96